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Die Olympischen Spiele von Sotschi und russische Nationalidentität


Inwiefern die Olympischen Spiele von Sotschi ein Indikator für das russische Großmachtsgebahren in der Ukraine waren.


Denn zu diesem Schluss kommt die Forschungsgruppe „Ponars Eurasia“, deren Mitglied Dmitri Gorenburg den Einfluss der Spiele in Sotschi auf die russische Nationalidentität analysiert hat.

Dabei sichtete Gorenburg zwischen 13. und 27. Februar – im Zeitraum der Olympischen Spiele und vier Tage danach – Artikel aller wortführenden russischen Zeitungen, in denen die Schlüsselbegriffe „Sotschi“ und „Olympia“ vorkamen. Die Recherche umfasste gleichermaßen staatlich kontrollierte und unabhängige Zeitungen.

Zu Beginn der Spiele lag der Fokus der internationalen wie nationalen Berichterstattung demnach auf den immensen Kosten der Veranstaltung und möglichen Problemen aufgrund der schlechten Bauqualität der Spielstätten sowie Anschlagdrohungen. Russische Beobachter waren besonders aufgebracht über die hohen Ausgaben für olympische Bauprojekte und Infrastruktur; oft war die Rede davon, dass die Kosten auch im Vergleich zu anderen Olympischen Spielen unverhältnismäßig hoch seien.

Diese Kritik wurde durch den Erfolg, der sich mit dem Beginn der Spiele einstellte, förmlich erstickt. Mit Befriedigung notierten die russischen Medien, dass auch negative Stimmen in den ausländischen Medien zunehmend verstummten. Russische Zeitungen zitierten bekannte westliche Medien (Washington Post, Financial Times, ARD, etc.), denen zufolge es der russischen Regierung gelungen sei, ein positives Bild von Russland mithilfe der Olympischen Spiele zu vermitteln. Wie gespannt die Reaktion des Westens in Russland verfolgt wurde, erklärt Gorenburg mit der Verunsicherung der russischen Bevölkerung über das Ansehen des eigenen Landes in der Welt.

Dass nun während und nach den Olympischen Spielen die westlichen Reaktionen so günstig ausfielen, wurde als eine Bestätigung für die Bedeutsamkeit Russlands in der internationalen Gemeinschaft aufgefasst. Hinzu traten die medial gefeierten Erfolge der eigenen Sportler, insbesondere die Rekordzahl an Medaillen.

Die Berichterstattung vollzog somit einen Wandel von Kritik hin zu patriotischer Begeisterung. Nach Gorenburg wurde diese Dynamik verstärkt und angefeuert durch die politische Konstruktion der Spiele selbst.

Die Olympische Eröffnungsfeier stärkte die gemeinsame Identität besonders. Dabei wurde bewusst einkalkuliert, welche Resonanz die Show innerhalb Russlands hervorrufen sollte: Die Organisatoren entschieden sich, den Fokus auf den russischen Beitrag zur Weltkultur und Weltpolitik zu legen, wie zum Beispiel auf die Schlüsselrolle Russlands beim Sieg über Napoleon und der nachfolgenden Phase politischer Stabilität in Europa.

Auch bei der Darstellung der sowjetischen Geschichte wurden Stabilität und Wachstum betont: dem Chaos der Revolutionszeit und des Bürgerkrieges wurden die Ordnung und die angebliche Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg entgegengestellt. Eine Stimme aus dem Off sprach von der Gründung einer neuen Welt, die bis heute anhält, und schuf somit eine Verbindung zwischen der Gegenwart und dem Spätstalinismus, der in Herzen vieler Russen der älteren Generation bis heute Anklang findet. Widersprüchliche historische Etappen, wie zum Beispiel der Große Terror und die gesamte postsowjetische Zeit, wurden ausgelassen.

Auch wurden ethnische Minoritäten in der Eröffnungszeremonie vollständig ignoriert. Die Darstellung kreiste um die Errungenschaften ethnischer Russen. Zum Vergleich: Die Winterspiele in Vancouver setzten einen maßgeblichen Akzent auf die Kultur einheimischer Völker in British Columbia. Tscherkessen, die bis Mitte des 19. Jh. den Großteil der Bevölkerung auf dem Territorium der Spiele in Sotschi ausmachten und an denen im Zuge der Kaukasuseroberungen ein Genozid verübt wurde, wurden im Programm gar nicht erwähnt. Dieser Darstellung lag offenbar eine bewusste Entscheidung zugrunde: Sie appellierte an die nationalistisch gesinnten russischen Zuschauer.

Die innerrussische Berichterstattung nach den Winterspielen von Sotschi veranschaulicht, dass sich die Erwartungen der russischen Regierung, die ein immenses Budget für ein möglichst eindrucksstarkes Schauspiel zur Verfügung gestellt hatte, erfüllt haben. In der Woche unmittelbar nach den Spielen schrieben die Medien darüber, dass der russische Stolz auf die eigenen Sportler und die gelungene Ausrichtung eines Events dieser Größenordnung die Beliebtheit Putins steigen ließen. Das Regime konnte seine Stellung durch die Spiele nochmals festigten.

Nach Gorenburg leiteten die russische Selbstsicherheit und das verstärkte Nationalbewusstsein durch die Olympischen Spiele das Vorgehen in der Ukrainekrise ein. Nämlich die Annexion der Krim und die Unterstützung der Separatisten.

Tatsächlich wurde die Intervention in die Ukraine von der russischen Regierung abermals mit der Identitätsidee begründet, die bereits das Leitthema der Spiele in Sotschi war. Es wurde unermüdlich propagiert, dass die eigene Regierung ethnische Brüder und Schwestern vor ukrainischen „Faschisten und Nationalisten“ beschützen müsse. Dass der russenfeindliche „Rechte Sektor“ in den ukrainischen Wahlen gerade mal 2,5 Prozent bekam, hat der russischen Argumentation, wie wir nun Monate später beobachten können, keinen Wind aus den Segeln genommen.

Die Olympischen Spiele von Sotschi und die Intervention auf der Krim können als sich ergänzende Ereignisse auf dem Weg Russlands zurück zur ehemaligen Größe interpretiert werden. In dieser Deutung symbolisierten die Olympischen Spiele die Fähigkeit Russlands auf der Weltbühne zu konkurrieren, und die Intervention zeigt, dass Russland wieder in der Lage ist, machtpolitisch durchzugreifen, wenn eigene Interessen und Ideen es erfordern.


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