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Leviathan


So heißt der neue Film von Andrej Zvyaginzev, der den russischen Zuschauer bereits vor dem offiziellen Kinostart aufgewühlt hat.


Vor der eindrucksvollen Kulisse des Barentsee erzählt Regisseur Zvyaginzev die Geschichte einer einfachen russischen Familie im Kampf gegen den Staat. Ganz im Sinne von Thomas Hobbes hat der übermächtige Staat die absolute Macht inne, der gegenüber das einzelne Schicksal nur allzu leicht zu zerbrechen droht.

Den modernen russischen Leviathan zeigt Zvyaginzev als ein Konglomerat aus politischen Strukturen und der russisch-orthodoxen Kirche.

Das russische politische System im eigenen Lande zu kritisieren, ist im Zuge der Geschehnisse seit der Annexion der Krim zusehends problematisch geworden. Sich gegen die russisch-orthodoxe Kirche zu stellen, kommt jedoch einer Beschmutzung der russischen Seele selbst gleich. Pussy Riot durften diesen Vorwurf am eigenen Leib erfahren. Im Film zitiert Zvyaginzev Pussy Riot zweimal beim Namen und traut sich noch weiter in die antiklerikale Richtung.

Die Geschichte erzählt vom geplanten Abriss eines Hauses, an dessen Stelle eine prachtvolle Kirche gebaut werden soll. Wie eine Hand die andere wäscht, sorgt der lokale Bürgermeister für Enteignung, Räumung und Zerstörung und erhält im Gegenzug eine Wahlkampagne von der Kanzel herunter. Die Kirche übernimmt hier den perfidesten Part. Sie lässt den Bürgermeisterhampelmann, der um seine Wiederwahl fürchtet, für ihre Zwecke arbeiten.

Die Hausbewohner, Nikolai und seine Familie, versuchen auf dem Rechtsweg das Haus zu behalten. Doch wie bereits der biblische Hiob, aus dessen Buch die Metapher des Seeungeheurs Leviathan stammt, verliert Nikolai nach und nach sein Haus, seine Familie und seine Freiheit. Denn sowohl die gekaufte Justiz, als auch die Polizei sind nichts mehr als weitere Glieder des Leviathans, die den einfachen Bürger vollends zerschmettern.

Obwohl der Film in russischen Kinos noch nicht gestartet hat, regt sich schon seit Monaten der Widerstand. Beipielsweise forderten 16 Vertreter der orthodoxen Kirche und der Politik in Samara, dass der Schauspieler des örtlichen Theaters für seine Rolle als Pope aus dem samarischen Staatstheater entlassen werden soll.

Auch in Teriberka, dem kläglichen Dorf hinter dem Polarkreis in dem die Dreharbeiten stattfanden, wird gegen den Film gewettert. Er würde das Leben in Teriberka allzu schwarz malen, sagt die dortige Gemeindevorsitzende Tatjana Trubilina. Die Leute würden in Wirklichkeit nicht maßlos trinken und fluchen, wie im Leviathan dargestellt wird. Die Maßlosigkeit des Staates wird nicht kritisiert, als ob der Wodka und die Schimpfwörter die einzigen Probleme wären.

“Schwarzmalerei” ist in Russland momentan ein populäres Wort. Dass Leviathan bereits den Golden Globe überreicht bekommen hat und für den Oskar nominiert ist, wird in Russland als ein Beweis für die negative bis feindliche westliche Sicht auf das moderne Russland interpretiert.

Ob sich der russische Zuschauer den Film bereits online angesehen hat oder ihn vom Hörensagen kritisiert, spielt keine große Rolle. Eine Menge Kommentatoren auf Internetforen und im staatlichen Fernsehen sind sich bereits jetzt einig darüber, dass eine negative Darstellung Russlands nicht diskutabel ist.

Vermutlich wird der Film am 5. Februar trotzdem in die Kinos kommen, zu viel Lärm hat er bereits verursacht. Trotzdem wird ihn der einfache Russe, an den der Film nicht zuletzt adressiert ist, in seiner ganzen Würze nicht erleben können. Denn seit dem desaströsen Gesetz vom Juli 2014 darf in Kunstwerken nicht mehr geflucht werden. Demnach müssen einige intensive Szenen zuvor aus der Originalfassung herausgeschnitten werden.

So oder so, der Leviathan des heutigen Russlands bekam dank Zvyaginzev ein meisterhaftes Porträt. Als Folge allerdings muss der mutige Regisseur einer Hetzkampagne der alten sowjetischen Art entgegensehen. Es bleibt abzuwarten, ob er am Ende nicht selbst zu Hiob wird.

Derweil lud die Duma am 22. Januar zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, den Patriachen Kirill, zu sich ein – zu einem gegenseitigen Austausch in Fragen von Tradition und Sittlichkeit.


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