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Die letzten Worte des Regisseurs Oleg Sentsov im Gerichtssaal


Dem ukrainischen Regisseur Oleg Sentsov, der mit der Film „Gamer“ bekannt wurde, wird in Russland vorgeworfen an „terroristischen Aktivitäten“ beteiligt gewesen zu sein. Am 19. August 2015 wurde für ihn vom Gericht von Rostow am Don eine Haftstrafe von 23 Jahren vorgeschlagen. Für den zweiten Angeklagten im gleichen Verfahren, Alexander Koltschenko, schlug der Staatsanwalt 12 Jahre vor.


Oleg Sentsov äußerte sich in seiner letzten Stellungnahme auf folgende Weise:


„Ich hoffe es werden nicht meine letzten Worte sein. So wie Alexander werde ich Sie um nichts bitten. Die Angelegenheit ist allen klar. Ein Gericht von Okkupanten kann per Definition nicht gerecht sein. Ich möchte über etwas anderes sprechen.

Nachdem Pontius Pilatus, als Romanfigur von Bulgakov, eine Weile auf dem Mond verbrachte, um über seine Taten nachzudenken, kam er zu dem Schluss, dass die größte Sünde der Welt die Feigheit ist. Hier bin ich mit ihm einer Meinung. Die Feigheit ist die größte und die bedeutendste aller möglichen Sünden. Verrat ist nur eine bestimmte Form von Feigheit. Ein großer Verrat fängt manchmal mit einer kleinen Feigheit an.

Wenn man zu Beispiel einen Sack über den Kopf gestülpt bekommt und eine halbe Stunde lang geschlagen wird, ist man bald bereit sich von allen früheren Überzeugungen loszusagen, alles Mögliche zuzugestehen und andere Menschen zu beschuldigen. Wie viel sind solche Überzeugungen wert, wenn man nicht bereit bist für sie zu leiden und zu sterben? (…)

Ich befinde mich bereits seit einem Jahr in eurem Land und verfolge eure Fernsehsendungen. Eure Propaganda arbeitet ausgezeichnet. Ich glaube daran, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung nicht anzweifelt, was sie gesagt bekommt: dass Putin der Beste sei, dass die Ukraine von Faschisten beherrscht wird, dass Russland angesichts der zahlreichen Feinde, alles richtig gemacht habe.

Gleichzeitig weiß ich, dass es klügere Menschen gibt, wie beispielsweise die Menschen hier im Saal. Ihr wisst alle, dass die Krim widerrechtlich annektiert wurde und dass sich eure Kämpfer in der Ostukraine befinden. Sogar ich weiß es, obwohl ihm mich in eurem Gefängnis befinde. Sie werden als Helden losgeschickt und kommen in euren Panzern und mit euren Waffen. Wenn sie zurück wollen, werden sie bereits an der Grenze inhaftiert. Sie wundern sich, weil sich nicht verstanden haben, dass der Zug für sie nur in eine Richtung fährt: nach Donbass. Sogar ich weiß es, ob wohl ich hier im Gefängnis sitze. (…)

Diese Tatsachen sind offensichtlich. Nur wenn man die Augen verschließt, sieht man sie nicht.

Hier vor mir stehen die Troubadoure eures Regimes. Obwohl sie ebenso gut wissen was los ist, lügen sie weiter. Sie machen weiterhin ihren Job. Wahrscheinlich finden sie für sich Ausreden, dass sie Geld verdienen müssen und ihre Kinder satt machen. Doch warum will man eine neue Generation von Sklaven heranziehen?

Daneben gibt es noch einen Teil der russischen Bevölkerung, der weiß, was vor sich geht. Diese Menschen sind nicht anfällig für Propaganda. Sie verstehen die Situation außerhalb Russlands und verurteilen die kriminellen Taten der russischen Regierung. Aber sie glauben, dass nichts zu machen ist und das Regime nicht gebrochen werden kann, dass sie zu wenige sind und am Ende alle verhaftet und vernichtet werden. Deswegen sind sie weiterhin leise, wie Mäuse im Keller.

Wir hatten auch verbrecherische Machthaber, aber wir sind ihnen entgegengetreten. Man wollte uns nicht hören, deswegen haben wir auf Mülltonnen getrommelt. Man wollte uns nicht sehen, deswegen haben wir Mülldeckel angezündet. Am Schluss haben wir gesiegt.

Auch bei euch wird eines Tages das Gleiche eintreffen. Ich rufe nicht zur Gewalt auf. Aber ich will nicht, dass ihr von Verbrechern regiert werdet. (…)

Ich wünsche dem gut informierten Teil der russischen Bevölkerung, dass er es lernt, keine Angst zu haben.“


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